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Meinungen : Die Geschichte einer betroffenen Familie
09.04.2021 08:28 ( 1214 x gelesen )

Die Geschichte einer betroffenen Familie

Vor drei Jahren stand plötzlich die Polizei vor unserer Tür und sagte:“ Wir haben ihren Sohn beim Verkauf von Betäubungsmitteln erwischt.“ Sie wollten uns die Anzeige persönlich vorbeibringen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten wir zwar die nachlassenden Leistungen in der Schule, sein manchmal seltsames Verhalten und sein ausgeprägtes Interesse für Deutsch-Rapp-Musik mit drogenverherrlichenden Texten bemerkt. Wir hielten es jedoch für pubertäre Spleens. Als er jedoch immer öfter mit geröteten Augen, abstrusen Erklärungen und betrunken nach Hause kam, war klar: unser Sohn hat ein Suchtproblem.


Es verging ein weiteres furchtbares Jahr, in dem wir allzu häufig Kontakt mit der Polizei, viel zu viele Termine bei Gericht und schreckliche Erlebnisse in Krankenhäusern hatten. Wir führten lange Gespräche mit ihm, versprachen ihm alles Mögliche, wenn er doch nur aufhören würde. Sogar ein Umzug in eine fremde Stadt, wo man ganz von vorne anfangen könnte, zogen wir in Erwägung. Nichts half.

Dann las ich in der Zeitung, dass es in Balingen die Selbsthilfegruppe für Eltern von suchtkranken oder suchtgefährdeten Töchtern und Söhnen gibt. Es kostete mich sehr viel Überwindung, das erste Mal dorthin zu gehen. Denn das kam meinem Eingeständnis, dass mein Sohn süchtig war und wir dem völlig hilflos gegenüber standen gleich. Ich hatte mir vorgenommen, bei meinem ersten Teilnehmen nichts zu sagen und nur zuzuhören.

Zunehmend verzweifelt wendeten wir uns ans Jugendamt, an niedergelassene Psychologen, Familientherapeuten und Ärzte oder suchten im Internet nach Hilfe. Mit wenig Erfolg.

An diesem Tag waren wir zwölf Eltern und in der Runde stellten sich alle vor, und erzählten von ihren Töchtern und Söhnen. Vieles was ich hörte kam mir sehr bekannt vor: Gespräche mit den eigenen Kindern endeten regelmäßig im Streit, die Polizei war schon häufig da gewesen und die meisten hatten auch schon ihr Kind in fast unerträglichen Zuständen vom Krankenhaus abholen müssen. Manche hatten sogar Angst, vor ihrem eigenen Kind, dessen Verhalten von großer Aggression geprägt war. Ich konnte zunächst gar nicht sprechen, weil meine Stimme in Tränen erstickt wurde.
Das Verständnis für meine Situation war riesengroß. Denn hier waren die Menschen, die Ähnliches erlebten. Endlich konnte ich alles erzählen und musste mich nicht mehr verstecken. Endlich waren da Leute, die verstanden wovon ich sprach und zuvor ebenfalls meist vergeblich Hilfe von offizieller Seite gesucht hatten.
Endlich bekamen konkrete Hilfen! Ab diesem Abend veränderte sich vieles an unserem Verhalten gegenüber unserem damals 16-jährigen Sohn. Wenn er die Regeln unserer Familie brach, blieben wir konsequent. Wenn er uns in Diskussionen zum Thema Drogen verwickeln wollte, brachen wir das Gespräch ab. Wenn er uns nach Geld fragte, wir jedoch wussten, dass er bereits sein ganzes Geld für illegale Drogen und Alkohol ausgegeben hatte, bekam er von uns nichts. Fahrdienste zu seinen zweifelhaften Freunden stellten wir ein. Wir verhielten uns ihm gegenüber sehr klar, denn wir hatten verstanden. Für Süchtige ist die größte Hilfe: nicht bei der Fortsetzung ihres Suchtverhaltens zu helfen. Die regelmäßigen Treffen gaben uns die Kraft durchzuhalten und ihm immer wieder konsequent entgegenzutreten.

Schließlich konnten wir ihn dazu bringen, eine Entgiftung in einer qualifizierten Einrichtung zu machen. Der Weg dorthin war von unserem inneren Kampf und seinem zunächst großen Widerstand begleitet. Ein weiterer Entzug folgte nach einem halben Jahr. Jetzt war er bereit, nach der Entgiftung eine Suchttherapie zu beginnen. Weitere fünf lange Monate vergingen, bis er schließlich einen Platz bekam. Das alles liegt nun schon geraume Zeit zurück. Er hat die nächste Stufe der Leiter erklommen, die aus der Sucht führt: die Adaption. Auch diese wird bald enden und er geht dann weiter ins betreute Wohnen, wo ihm weiterhin Therapeuten zur Seite stehen.
Ohne die Tipps, die wir von den anderen betroffenen Eltern, während unserer regelmäßigen Treffen in der Selbsthilfegruppe bekamen, wäre sowohl sein als auch unser Weg sicherlich ganz anders verlaufen. Wir wären heute nicht da, wo wir sind. Wir besuchen die Gruppentreffen noch immer und empfinden das als unglaubliche Stütze. Inzwischen ist unser Sohn volljährig, und wir haben wieder ein gutes Verhältnis zueinander. Normale Gespräche sind möglich und wenn wir ihn in seiner neuen Umgebung besuchen, sehen wir wie gut es ihm geht. Dann fahren wir guten Mutes nach Hause und können beruhigt schlafen.

Eine betroffene Familie

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